Aufhören

Ich habe aufgehört, Motorrad zu fahren
und vermisse das sinnliche Spiel und die Balance mit der Fliehkraft.

Ich habe aufgehört, Auto zu fahren,
ich verfluche die Unfähigkeit,
größere Distanzen schnell zurücklegen zu können,
um an bestimmte, mit Bus oder Bahn schwer erreichbare Ziele zu gelangen.

Ich habe aufgehört, verschiedene Sportarten auszuüben,
vor allem solche, die etwas mit Bällen jeglicher Art zu tun haben,
und entbehre die physische Verausgabung beim Spiel
und die damit verbundene psychische Entkrampfung.

Ich habe aufgehört, meinen Beruf auszuüben,
und muss mein Selbstwertgefühl seither aus der Bewältigung anderer Tätigkeiten ableiten.

Ich habe aufgehört, zu Ausstellungen zu pilgern,
um die Bilder, Installationen oder Plastiken bekannter oder noch
nicht bekannter Künstler zu betrachten,
und ich weiß,
dass es doch noch so unbeschreiblich viel zu betrachten gäbe.

Ich habe aufgehört, meinen Fotoapparat und meine Filmkamera in originellen oder spektakulären Momenten auszulösen,
und vergesse sie allmählich in ihrem ach so tropentauglichen Alukoffer im Schrank.

Ich habe aufgehört, allwöchentlich ins Kino zu gehen,
und konnte doch früher keinen Zelluloidstreifen auslassen,
wenn er der aktuellen Filmkritik Lob oder Tadel entlockte...
Ich habe aufgehört, mit Thomas und Gerhard Skat zu spielen,
obwohl wir eine unbändige Freude daran hatten,
uns mit Grand oder Null, Ramsch oder Bock, Contra und Re
gegenseitig auszutricksen.

Ich habe aufgehört, in den riesigen Schallplattenläden der nahegelegenen Großstadt nach mitreißenden Aufnahmen herumzusuchen,
obwohl ich dies früher regelmäßig und äußerst ausdauernd getan habe.

Ich habe aufgehört, allein in Cafes, Bistros oder Kneipen zu gehen,
und habe es früher genossen, dort lesend, sinnierend oder träumend Stunden verstreichen zu lassen.

Ich habe aufgehört, mit meinen Kindern zu basteln,
und weiß, wie gerne sie dies im Grunde doch tun.

Ich habe aufgehört, Blumensträuße nach eigenem Gutdünken zusammenzustellen,
und bin vom Geschmack des Verkäufers oder der Verkäuferin abhängig...

Ich habe aufgehört, meine Frau sinnlich zu betrachten,
und weiß doch, dass sie einen sehr, sehr schönen Körper besitzt...

Ich habe mit so Vielem aufhören müssen.
Ich muss mit so Vielem wieder von vorne anfangen...

(Aus: „Jahrbuch für Blindenfreunde 1992“, gekürzte Fassung)